In der Fastenzeit des „Heiligen Jahres der Barmherzigkeit“ will Papst Franziskus sogenannte Missionare der Barmherzigkeit in die Bistümer der Welt ausschwärmen lassen – Radio Vatikan hat bereits an anderer Stelle erklärt, was es damit auf sich hat. Es sind Beichtväter, die mit speziellen päpstlichen Vollmachten ausgestattet sind. Sie können direkt im Beichtstuhl eine durch bestimmte Vergehen eingetretene Exkommunikation aufheben. Wir haben dazu den Kirchenrechtler Pater Markus Graulich befragt, Untersekretär am päpstlichen Rat zur Interpretation der Gesetzestexte.„Wir haben in der Kirche bestimmte Absolutionen, die dem Heiligen Stuhl vorbehalten sind. Es geht um Sünden, die gleichzeitig auch eine Straftat sind. Ich nenne das Beispiel, das am meisten verbreitet ist: die Sünde der Abtreibung. Sie ist von selbst mit der Exkommunikation verbunden. Und bevor diese Sünde vergeben werden kann, muss erst die Tatstrafe der Exkommunikation aufgehoben werden. Diese Vollmacht ist den Bischöfen gegeben, und die haben sie in der Regel den Pfarrern beziehungsweise allen Priestern, die Beichtväter sind, gegeben. Dann gibt es aber andere Sünden, die ebenfalls eine Straftat sind und daher ebenfalls die Exkommunikation mit sich bringen, und deren Lösung dem Heiligen Stuhl vorbehalten ist. Wenn also (in der Bulle „Misericordiae vultus“ von Papst Franziskus, die am letzten Sonntag proklamiert wurde) gesagt wird, die Beichtväter dürfen Sünden vergeben, deren Vergebung dem Heiligen Stuhl vorbehalten ist, ist das kirchenrechtlich nicht ganz korrekt ausgedrückt – die Beichtväter können darüber hinaus auch die Voraussetzung dafür schaffen, indem sie nämlich die Strafe der Exkommunikation aufheben, die mit dieser Sünde verbunden ist, die auch eine Straftat darstellt.“Es handelt sich – abgesehen von Abtreibung – um sechs mutmaßlich seltenere Sünden: Hostienmissbrauch, Attentat auf den Papst, Lossprechung einer Person, die mit dem lossprechenden Priester Sex hatte, unerlaubte Bischofsweihe, Bruch des Beichtgeheimnisses und versuchte Priesterweihe an einer Frau. Sehr viel häufiger ist die Sünde der Abtreibung. Hier tritt für die betroffene Frau und alle, die an der Abtreibung mitwirken, ebenfalls die automatische Exkommunikation ein. Allerdings hat es sich in der Sakramentenseelsorge im deutschen Sprachraum schon seit zwei bis drei Jahrzehnten dahin entwickelt, dass alle Beichtväter in diesem Fall die Exkommunikation aufheben und von der Sünde lossprechen können. In anderen Ortskirchen gelten andere Regeln, weiß Pater Graulich:
„Zum Teil ist es immer noch an den Bischof gebunden, so dass man da beim Pönitentiär der Diözese oder beim Bischof anfragen muss. In Italien ist es teilweise den Priestern übertragen, teilweise nicht. Es gibt verschiedene Regelungen, die da weiterhin bestehen.“
Welches Ziel verfolgt Papst Franziskus mit der Entsendung der speziellen Beichtväter der Barmherzigkeit? Er will, denkt Graulich, die Tragweite des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit verdeutlichen.
„Sein großes Anliegen dahinter ist ja, die Leute zur Beichte einzuladen. Wenn man dann die Bulle liest, problematisiert Papst Franziskus die Beichte gar nicht: Für ihn ist es ganz selbstverständlich, dass Menschen beichten gehen. Würden Sie darüber mit einem Pfarrer aus Deutschland reden, ist die Selbstverständlichkeit gar nicht mehr so gegeben. Wir würden vielleicht im deutschen Sprachraum etwas tiefer ansetzen und sagen, der Papst schickt jetzt außerordentliche Beichtväter, damit die Gelegenheit gegeben wird oder damit die Leute wieder darauf aufmerksam werden, es gibt auch dieses Sakrament noch.“
Auch der Beichtvater muss sich auf die Beichte vorbereiten. Franziskus schreibt das in seiner Bulle nicht explizit, geht aber darauf ein, dass der betreffende Priester selbst die Erfahrung der Barmherzigkeit gemacht haben muss, um sie weiterzugeben.
„Das Thema der Beichte, Vergebung, Versöhnung hat auch Papst Johannes Paul II. vor 30 Jahren schon aufgegriffen, nach der Synode über Buße und Vergebung, und hat eben gesagt: Wer Beichtvater sein will, muss auch Beichtender gewesen sein, muss die Erfahrung der Beichte gemacht haben. Wenn Sie sich erinnern, letztes Jahr gab es eine Veranstaltung im Vatikan, die dieses Jahr wiederholt wurde, eine Art Bußfeier mit Einzelbeichte, wo auch der Papst sich zur Verfügung gestellt hat, um die Beichte zu hören. Und da ist er, bevor er selbst in den Beichtstuhl ging, zu dem Beichtvater gegenüber gegangen und hat selber gebeichtet. Das hat sehr viel Beispiel gegeben. Ein Beichtvater muss einer sein, der selber auch aus der Praxis der Beichte kommt. Vielleicht liegt darin auch ein Grund für die Krise des Beichtsakraments, dass die Priester keine Erfahrung mehr als Beichtende haben.“
(rv 16.04.2015 gs)