Zweiter nationaler Barmherzigkeitskongress
Paderborn 7. Oktober 2018
Das Bild des barmherzigen Jesus
in der Interpretation des Hl. Johannes Paul II.
von Sr. Dr. Edith Olk
Liebe Mitchristen!
Als ich am Tag des Sterbens von Papst Johannes Paul II., dem 2. April 2005, in Rom eintraf und die ganze folgende Woche vom Moment des Sterbens selbst bis zur Beerdigung des Papstes miterleben durfte, fand ich die Verbindung zwischen Johannes Paul II. und dem barmherzigen Jesus in einem Plakat ausgedrückt. Dieses Plakat hat mich so sehr bewegt und beschäftigt, dass daraus ab dem Jahr 2007 eine Doktorarbeit über die Theologie der Barmherzigkeit bei Johannes Paul II. wurde.
Im Zuge dieser Arbeit stieß ich auf etliche Äußerungen des Papstes, mit denen er – im Rahmen seiner Verkündigung – das Bild vom barmherzigen Jesus erklärte. Diese Erklärungen haben mir das Bild für mich persönlich tiefer erschlossen. Als ich zusätzlich durch die Theologie von Johannes Paul II. ein neues Verständnis von Barmherzigkeit gewinnen konnte, wurde mir das Bild vom barmherzigen Jesus noch tiefer vertraut.
Der Papst hat seine Verkündigung über das Bild vom barmherzigen Jesus und über die Göttliche Barmherzigkeit an die ganze Kirche gerichtet. Deshalb möchte ich sie Ihnen vorstellen. Doch gestatten Sie mir zuvor, Ihnen einige persönliche Beobachtungen mitzuteilen.
Während meiner Studienzeit in Rom lebte ich mit Schwestern aus Indien, Afrika und Ostmitteleuropa zusammen. Ihnen allen war das Bild vom barmherzigen Jesus sehr vertraut. Eine Schwester aus Ruanda fand durch den barmherzigen Jesus ein Stück inneren Frieden, der ihr über die tiefen Verletzungen durch den Völkermord hinweghalf. Aus ihrer Sicht hilft der barmherzige Jesus den Menschen in Ruanda, den Frieden untereinander zu festigen. Eine andere Schwester hatte ein tiefes, inneres Erlebnis mit dem barmherzigen Jesus – verbunden mit einer inneren Schau des Bildes, das ihr in einer sehr schwierigen Familiensituation Kraft gab. Keine der Schwestern stellte die Bedeutung des Bildes jemals in Frage. Als ich später mehrmals nach Burundi, dem Nachbarland von Ruanda, reiste, fand ich überall in den Kirchen und Häusern – wie selbstverständlich – dieses Bild.
Zum ersten Apostolischen Weltkongress der Göttlichen Barmherzigkeit im Jahr 2008 in Rom kamen sehr viele Menschen aus der ganzen Welt zusammen. Es beeindruckte mich damals, dass besonders viele Menschen aus sehr armen Ländern offensichtlich ihr ganzes Geld zusammengekratzt hatten, um zu diesem Kongress zu kommen. So etwas tut ein Mensch doch nur, wenn ihm der barmherzige Jesus persönlich viel bedeutet. Der barmherzige Gott – so kam es mir damals vor – ruft die Menschen aus aller Welt zusammen. Der Heilige Geist erweckt in der weltweiten Kirche das Vertrauen in Gottes Barmherzigkeit. Und dieses Vertrauen bringt die Menschen in Bewegung und führt sie auch zusammen.
Nun komme ich zu einer besonderen Beobachtung in Deutschland: In unseren Kirchräumen ist das Bild vom barmherzigen Jesus sehr selten zu finden. Aber überall dort, wo es aufgestellt ist, findet man in den Gemeinden auch die eucharistische Anbetung, feste Beichtzeiten, Rosenkranz- und Lobpreisgebet. In diesen Gemeinden finde ich eine typisch katholische Spiritualität, die auch mein Leben prägt. Das Gleiche gilt für einzelne Menschen: Wenn ich bei ihnen zuhause das Bild vom barmherzigen Jesus sehe, weiß ich sofort, dass dieser Mensch eine persönliche Beziehung mit Jesus im Gebet pflegt, einen tiefen Bezug zur Eucharistie hat, dass er beichten geht, Maria verehrt usw.. Nicht alle Menschen, bei denen ich dieses Bild finde, lesen das Tagebuch von Faustyna oder beten den Barmherzigkeitsrosenkranz. Aber ich finde bei diesen Menschen eine typische Spiritualität, die nicht mehr überall in der deutschen Kirche zu finden ist. Ich möchte behaupten, dass das Bild vom barmherzigen Jesus für uns Christen in Deutschland eine zusätzliche Bedeutung hat: Es ist eine Art Erkennungszeichen untereinander für eine bestimmte Spiritualität geworden, so wie der Fisch für die ersten Christen ein Erkennungszeichen für ihren Glauben war.
Das Bild vom barmherzigen Jesus kann nicht einfach als Ausdruck einer typisch polnischen oder gar einer vorkonziliaren Spiritualität erklärt werden. Es findet sich aktuell in fast allen kirchlichen Bewegungen, die einen geistlichen Aufbruch – verbunden mit einer persönlichen Umkehr zu Gott – wagen und es ist weltweit verbreitet. Armen und einfachen Menschen aus den verschiedensten Kulturen scheint das Bild sich wie von selbst zu erschließen.
Warum ist das so? Die einfachste Antwort lautet: Es ist ein Gnadenbild. Das Bild mit der Unterschrift „Jesus, ich vertraue auf dich“ geht auf eine Vision und einen Auftrag Jesu an Schwester Faustyna am 22. Februar 1931 zurück. Es wurde erstmals nach ihren Angaben im Jahr 1934 von dem Künstler Eugeniusz Kazimirowski in Wilna gemalt und öffentlich ausgestellt. Die Worte Jesu an Schwester Faustyna, sie würde „am Tage des Gerichts für eine große Anzahl von Seelen Rechenschaft ablegen müssen“, wenn das Bild nicht gemalt würde (TB Nr. 154), sagen indirekt seine weltweite Verbreitung voraus. Ebenso offenbart eine Vision an Faustyna kurz vor ihrem Tod, dass viele Seelen durch das Bild Gnaden erhalten und Gott durch das Bild auf verschiedenen Wegen verherrlicht und Satan besiegt wird (vgl. TB Nr. 1789)[1]. Die Verehrung des Bildes ist mit den Verheißungen verbunden, dass die Seele gerettet ist und schon im irdischen Leben ihre Feinde besiegen wird.
Viele Menschen, die das Bild vom barmherzigen Jesus verehren, wissen überhaupt nichts von den Verheißungen und der Geschichte des Bildes. Andere, wie die bereits erwähnte Schwester aus Ruanda, kennen sie zwar, fühlen sich aber aus anderen Gründen zu dem Bild hingezogen. Es muss also eine Anziehung in dem Bild geben, die von der Darstellung selbst und von der darin enthaltenen Botschaft ausgeht.
Und jetzt sind wir bei Johannes Paul II. und seiner Interpretation des Bildes angekommen. Er wandte sich mit seiner Verkündigung an alle Christen, d.h. auch an die, welche die Offenbarungen an Schwester Faustyna nicht kennen, und erklärte ihnen die Bedeutung des Bildes. Dabei bezog er sich wohl in erster Linie auf das 1943/1944 von Adolf Hyła gemalte Bild, das ab dem 16. April 1944 in der Klosterkirche von Łagiewniki in Krakau ausgestellt wurde. Der junge Karol Wojtyła besuchte diese Kirche häufig auf seinem Weg zur Solvay-Fabrik – während der nationalsozialistischen Besatzung Krakaus (Schlusswort 17.8.2002). Er war 1942 dem bischöflichen Untergrundseminar beigetreten und hatte dort von Andrej Deskur, einem Mitstudenten und späteren Bischof, von den Offenbarungen an Schwester Faustyna Kowalska gehört. Seitdem besuchte er regelmäßig ihr Grab in der Klosterkirche. Bei diesen Besuchen zwischen April und August 1944 – dem Zeitpunkt, als er im Bischofspalais untertauchte -, wird er sich mit dem Bild und dem Stoßgebet „Jesus, ich vertraue auf dich“ innerlich vertraut gemacht haben. Er bezeugte später, dass ihm dieses Gebet während des Krieges Kraft und Hoffnung gab.[2]
Der Schlüssel zur Interpretation des Bildes nach Johannes Paul II. liegt in folgender Aussage: „Es ist bezeichnend, dass Schwester Faustyna diesen Sohn als barmherzigen Gott gesehen hat, indem sie ihn jedoch nicht am Kreuz betrachtete, sondern vielmehr in seinem späteren Zustand als Auferstandener in der Herrlichkeit. Sie hat daher ihre Mystik der Barmherzigkeit mit dem Paschamysterium verbunden, indem Christus siegreich über Sünde und Tod erscheint (vgl. Joh 20,19-23)“ [3]
Normalerweise zeigt die christliche Kunst Gottes barmherzige Liebe zu den Menschen im Bild des Gekreuzigten, dessen Herz geöffnet ist. Johannes Paul II. verweist auf die Besonderheit, dass sich der barmherzige Jesus Schwester Faustyna als Auferstandener und damit als Sieger über Sünde und Tod gezeigt hat. Das Bild des Auferstandenen vermittelt die große Hoffnung, dass Gottes Barmherzigkeit siegreich über das Böse ist. Diese Hoffnung brauchen die Menschen von heute ganz besonders und in dieser Botschaft vom Sieg über das Böse liegt die große Anziehungskraft des Bildes. Um dieses Thema kreist die ganze Theologie der Barmherzigkeit von Johannes Paul II..
Der Auferstandene kann selbstverständlich auch in diesem Bild nicht losgelöst vom gekreuzigten Jesus betrachtet werden. Darauf verweisen die Wundmale, aber auch sie sind bereits verklärt. Über sie sagte der Papst: „Die Wundmale des auferweckten und glorreichen Herrn sind das bleibende Zeichen der barmherzigen Liebe Gottes zur Menschheit. Aus ihnen strömt ein geistiges Licht, das die Gewissen erleuchtet und den Herzen Trost und Hoffnung einflößt.“ (Regina Caeli, 7. April 2002, 2)
Von den Wundmalen Jesu gehen – nach den Worten des Papstes – Licht für das Gewissen, d.h. die Fähigkeit zur Unterscheidung von Gut und Böse, sowie Trost und Hoffnung für das Herz aus. Angesichts der Einflüsse des Bösen auf das menschliche Herz vermittelt das Bild vom barmherzigen Jesus die Hoffnung, dass Gottes barmherzige Liebe stärker als das Böse ist. Denn, so sagte der Papst: „Jene glorreichen Wunden, die er acht Tage später den ungläubigen Thomas berühren ließ, offenbaren die Barmherzigkeit Gottes, der die Welt so sehr geliebt hat, »dass er seinen einzigen Sohn hingab« (Joh 3,16). … Die Menschheit scheint zuweilen verirrt und von der Macht des Bösen, des Egoismus und der Angst beherrscht zu sein. Ihr schenkt der auferstandene Herr seine Liebe, die vergibt, versöhnt und die Gedanken wieder der Hoffnung öffnet, eine Liebe, die die Herzen bekehrt und Frieden schenkt. Wie sehr hat es unsere Welt doch nötig, die Göttliche Barmherzigkeit zu verstehen und anzunehmen!“ (vorbereitete Ansprache zum Regina Caeli, 3. April 2005, 1-2).
Die Welt bedarf der Göttlichen Barmherzigkeit, weil sie so sehr der Hoffnung auf den Sieg des Guten bedarf. Und mehr noch: In der verklärten Herzwunde Jesu findet der Mensch die Erfüllung all seiner Sehnsucht nach Glück: „Durch das Geheimnis dieses verwundeten Herzens hört der erquickende Strom der barmherzigen Liebe Gottes nicht auf, sich auch über die Männer und Frauen unseres Zeitalters zu ergießen. Wer sich nach echtem und dauerhaftem Glück sehnt, kann nur hierin dessen Geheimnis finden“. (Predigt, 22. April 2001) „Das Herz Christi! Sein »Heiliges Herz« hat den Menschen alles gegeben: Erlösung, Heil, Heiligung.“ (ebd.)
Über die beiden Strahlen aus dem Herzen Jesu sagte der Papst: „Aus diesem von Milde überfließenden Herzen sah die hl. Faustyna Kowalska zwei Lichtbündel ausströmen, die die Welt erleuchteten. »Die zwei Strahlen – so vertraute Jesus selbst ihr an – bedeuten Blut und Wasser« (vgl. Tagebuch, S. 119). Das Blut erinnert an das Opfer auf dem Golgota und an das Geheimnis der Eucharistie, während das Wasser, gemäß der reichen Symbolik des Evangelisten Johannes, an die Taufe und die Gabe des Heiligen Geistes denken läßt (vgl. Joh 3,5; 4,14).“ (ebd.) An anderer Stelle erklärte Johannes Paul II.: „Die Strahlen der göttlichen Barmherzigkeit schenken in besonderer Weise all jenen wieder Hoffnung, die sich von der Last der Sünde erdrückt fühlen.“ (Predigt, 22. April 2001, 6). Das Bild verweist somit durch die beiden Strahlen auf die Sakramente, insbesondere auf die Taufe, Eucharistie und Beichte. Nun versteht man, warum das Bild bei uns zum Erkennungszeichen einer katholischen Spiritualität geworden ist. Denn Deutschland ist besonders durch die Reformation geprägt. Dadurch ist der Glaube an die Realpräsenz Christi in den Sakramenten teilweise verloren gegangen. Das Bild zeigt uns das Herz Jesu – das Symbol der Liebe Gottes – als Quelle der Sakramente. Wer dieses Bild verehrt, lebt auch aus den Sakramenten.
Das Geschenk der sakramentalen Sündenvergebung wird besonders im Evangelium vom zweiten Sonntag der Osterzeit (Joh 20,19-23), dem Barmherzigkeitssonntag, hervorgehoben, wenn der Auferstandene seinen Aposteln die Vollmacht zur Sündenvergebung übergibt. Das Bild vom barmherzigen Jesus ist unmittelbar mit eben dieser Botschaft des Evangeliums verbunden. Dazu führt der Papst aus: „Unsere Aufmerksamkeit richtet sich auf die Geste des Meisters, der den furchtsamen und erstaunten Jüngern die Sendung überträgt, Verwalter der göttlichen Barmherzigkeit zu sein. Er zeigt seine Hände und seine Seite mit den Wundmalen der Passion und teilt ihnen mit: »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch« (Joh 20,21). Sofort danach »hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert« (Joh 20,22 – 23). Jesus überantwortet ihnen die Gabe, »die Sünden zu vergeben«, eine Gabe, die den Wunden an seinen Händen, seinen Füßen und vor allem seiner durchstoßenen Seite entspringt. Daraus ergießt sich eine Welle des Erbarmens auf die ganze Menschheit. Wir erleben diesen Augenblick erneut mit großer geistiger Intensität. Auch uns zeigt der Herr heute seine glorreichen Wunden und sein Herz, die unerschöpfliche Quelle von Licht und Wahrheit, Liebe und Vergebung“. (Predigt, 22. April 2001, 4). Für Johannes Paul II. ist die sakramentale Sündenvergebung, die im Bild und im Evangelium verkündet werden, eine lebensnotwendige Quelle des Lebens für die ganze gegenwärtige Menschheit.
Der Papst lädt des weiteren dazu ein, mit den „Augen der Seele“ in die Augen des barmherzigen Jesus zu schauen und in seinem Blick die Liebe Gottes zu erkennen: „Mit den Augen der Seele wollen wir fest in die Augen des barmherzigen Jesus schauen, um in der Tiefe dieses Blickes den Widerschein seines Lebens sowie das Licht der Gnade zu finden, das wir schon so oft empfangen haben und das uns Gott jeden Tag und am letzten Tag erweist.“ (Predigt, 17. August 2002, 1). Man kann annehmen, dass die Erklärungen des Papstes sich vorrangig auf das weit verbreitete Bild von Hyła beziehen. Denn auf diesem Bild richtet der Auferstandene seinen Blick direkt auf den Betrachter, während im Bild von Eugeniusz Kazimirowski die Augen Jesu halb geschlossen und leicht nach unten gerichtet sind.
In den Augen des barmherzigen Jesus können wir sein ganzes Leben und die uns fortwährend geschenkte Gnade erkennen. Viele Gebetsbilder, die nur das Antlitz des barmherzigen Jesus zeigen, heben die Augen Jesu hervor und laden zu einem persönlichen Gespräch „Auge in Auge“ mit Jesus ein. In diesem Sinne ermutigt uns Johannes Paul II. zu einem „Dialog der Hingabe“: „Jeder kann hierher kommen, um das Bild vom „Barmherzigen Jesus“, sein Gnade ausstrahlendes Herz, anzuschauen und um in der Tiefe seiner Seele zu hören, was die Selige gehört hat: „Hab‘ keine Angst, ich bin immer bei dir“ (Tagebuch II). Und wer mit aufrichtigem Herzen antwortet: „Jesus, ich vertraue dir!“, wird in jeder Angst und Bedrängnis Trost finden. Durch diesen Dialog der Hingabe wird zwischen dem Menschen und Christus eine Bindung geschaffen, die Liebe ausströmt. Und in der Liebe gibt es keine Furcht – schreibt der heilige Johannes -, im Gegenteil, die vollkommene Liebe vertreibt die Furcht (vgl. 1 Joh 4,18).“ (Predigt 7. Juni 1997).
Mit dem Bild verbunden ist der Gebetsruf „Jesus, ich vertraue auf dich“ . Nach Johannes Paul II. kann diese Anrufung jederzeit gebetet werden. Der Papst bezeugte die Wirkmächtigkeit dieses Gebetes im eigenen Leben: „»Jesus, ich vertraue auf dich!« Das ist das einfache Gebet, das uns Schwester Faustyna gelehrt hat und das wir in jedem Augenblick unseres Lebens auf den Lippen haben können. Wie oft habe auch ich als Arbeiter und Student und dann als Priester und Bischof in schwierigen Zeiten der Geschichte Polens diese einfache und tiefgehende Anrufung wiederholt und deren Wirksamkeit und Kraft erfahren.“ (Generalaudienz, 21. August 2002, 1).
Dieses Gebet bringt das unerschütterliche Vertrauen in Gottes heilbringende Kraft, auch in ausweglosen Situationen, zum Ausdruck. Gott kann Unheil in Heil verwandeln: „Die Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes ist zugleich ein starker Aufruf zu einem lebendigerem Vertrauen: …. „Jesus, ich vertraue auf dich!“ … „Hoffnung gegen alle Hoffnung!“. Nichts ist bei Gott unmöglich! Möglich ist vor allem die Bekehrung, die fähig ist, Hass in Liebe und Krieg in Frieden zu verwandeln. Deshalb wird unser Gebet nachdrücklicher und vertrauensvoller: Jesus, ich vertraue auf dich!“ (Generalaudienz, 12. Januar 1994).
Das Gebet führt in die Hingabe der eigenen Person an Gott, der die dunklen Regionen unseres eigenen Herzens verwandeln kann und uns teilhaben lässt am Aufbau einer neuen, von Liebe geprägten Welt: „Dieses Gebet … bringt gut die Einstellung zum Ausdruck, mit der auch wir uns vertrauensvoll in deine Hände, o Herr, unser einziger Erlöser, überlassen wollen. Du bist erfüllt von der brennenden Sehnsucht, geliebt zu werden, und wer sich auf die Gefühle deines Herzens einstellt, wird lernen, zum Erbauer der neuen Zivilisation der Liebe zu werden. Ein einfacher Akt der Selbsthingabe reicht aus, um die Barrieren der Dunkelheit und Traurigkeit, des Zweifels und der Verzweiflung niederzureißen.“ (Predigt, 22. April 2001, 6).
Je schwieriger und komplizierter eine Situation ist, umso mehr sollen wir mit diesem Gebet um Gottes Barmherzigkeit flehen: „»Jesus, ich vertraue auf dich!«, wiederholen wir in dieser komplizierten und schwierigen Zeit, denn wir wissen, dass wir jener göttlichen Barmherzigkeit bedürfen, … . Wo Prüfungen und Probleme am schwersten sind, muss die Anrufung des auferstandenen Herrn noch beharrlicher und die Bitte um die Gabe seines Heiligen Geistes als Quelle der Liebe und des Friedens noch eindringlicher werden.“ (Regina Caeli, 7. April 2002, 2).
Gerade in unserer Zeit, in der das Böse immer mehr um sich greift, sollen wir mit dieser Anrufung Gottes Erbarmen herabflehen und Hoffnung schöpfen: „Diese Botschaft, die das Vertrauen auf die allmächtige Liebe Gottes zum Ausdruck bringt, brauchen wir vor allem in der heutigen Zeit, in der der Mensch mit Verwirrung den zahlreichen Formen des Bösen gegenübersteht. Die flehentliche Bitte um das göttliche Erbarmen muss aus der Tiefe der Herzen kommen, die voller Leid, Angst und Unsicherheit sind, gleichzeitig aber nach einer untrüglichen Quelle der Hoffnung suchen.“ (Predigt, 17. August 2002, 1).
Das Vertrauen in Gottes Barmherzigkeit wird zur Kraftquelle im Menschen, die das Leben verwandelt. Dies geschieht, indem wir durch den Gebetsruf anerkennen, dass Gottes Willen in jeder Situation den Vorrang hat. Dadurch erfährt der leidgeprüfte Mensch Frieden, Erleichterung und Freude im Herzen: „Dieser Akt des Vertrauens und der Hingabe an Gott ist einfach und doch so tief. Er ist eine grundlegende Kraftquelle für den Menschen, denn er vermag es, das Leben zu verwandeln. In den unausweichlichen Prüfungen und Schwierigkeiten des Lebens wie auch in den Augenblicken der Freude und Begeisterung flößt das Vertrauen zum Herrn der Seele Frieden ein; es führt dazu, den Primat des göttlichen Wirkens anzuerkennen, und öffnet den Geist für die Demut und die Wahrheit. »Jezu, ufam tobie – Jesus, ich vertraue auf dich!« Abertausende von Gläubigen in allen Teilen der Welt wiederholen diese einfache und beeindruckende Anrufung. Im Herzen Christi finden all jene Frieden, die angesichts der Sorgen des Lebens verunsichert sind; Erleichterung erfährt, wer von Leiden und Krankheit gequält wird; es empfindet Freude, wer von Unsicherheit und Angst niedergedrückt wird, weil das Herz Christi reich an Trost und Liebe für den ist, der sich voll Vertrauen an Ihn wendet.“ (Ansprache, 1. März 2003).
Johannes Paul II. hat die verwandelnde Kraft dieses Gebetes in den dunklen Stunden der nationalsozialistischen Besatzung und der kommunistischen Diktatur persönlich erfahren und wurde so zum Zeugen für die Wirkkraft dieses Vertrauensaktes. Er war zutiefst davon überzeugt, „dass es für den Menschen keine andere Quelle der Hoffnung als das Erbarmen Gottes geben kann“ (Predigt, 17.8.2002). Die Botschaft Gottes an Schwester Faustyna, die im Bild vom barmherzigen Jesus zum Ausdruck kommt, soll den Menschen die große Hoffnung verkünden: „Das Böse trägt nicht den endgültigen Sieg davon“[4], weder im persönlichen Leben noch im großen Weltgeschehen. Denn die erbarmende Liebe Gottes kann aus jedem Übel etwas Gutes hervorgehen lassen und so das Böse durch das Gute besiegen (vgl. Dies in misericordia 6).
So schließt sich der Kreis unserer Überlegungen in Hinblick auf die Frage, warum das Bild vom barmherzigen Jesus weltweit so viele Menschen anspricht – unabhängig davon, ob sie die Verheißungen, die mit dem Bild verbunden sind, kennen oder nicht. Das Bild vom auferstandenen Jesus, dessen erbarmende Liebe jede Form des Bösen besiegt und Unheil in Heil verwandelt, vermittelt eine Hoffnung, die der heutige Mensch angesichts der schwierigen Situationen ganz besonders sucht und die er nur in Gottes erlösender Barmherzigkeit finden kann.
Mit diesen Gedanken wollte Johannes Paul II. das Bild vom barmherzigen Jesus den Gläubigen auf der ganzen Welt nahe bringen. Das Bild und die Botschaft an Faustyna haben in seinem persönlichen Leben mit Gott eine große Rolle gespielt. Als Seelsorger hat er in Polen zur Zeit des Kommunismus erlebt, dass die Spiritualität der Barmherzigkeit den Menschen eine große innere Kraft verliehen hat, um das Böse durch das Gute zu besiegen (vgl. Röm 12,21). Er war davon überzeugt, dass der Reichtum dieser Spiritualität für die ganze Kirche und mehr noch für die ganze Welt bestimmt ist. Deshalb hat er den Barmherzigkeitssonntag und damit auch die Verehrung des Bildes vom barmherzigen Jesus für die Kirche weltweit eingeführt.
„Jesus, ich vertraue auf dich!“
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
[1] Vgl. Stanislaw Swidzinski, Die Botschaft der Barmherzigkeit Gottes vermittelt durch die selige Schwester Maria Faustyna Kowalska, Krakau – Coesfeld/Lette 1994, S. 25-28
[2] Vgl. Johannes Paul II., Auf, lasst uns gehen! Erinnerungen und Gedanken, übersetzt von I. Stampa, Augsburg 2004, S. 197f.
[3] Johannes Paul II., Erinnerung und Identität. Gespräch an der Schwelle zwischen den Jahrtausenden, aus dem Italienischen übersetzt von I. Stampa, Augsburg 2005, S. 74
[4] Erinnerung und Identität S. 75 f.