DAS LEBEN UND DIE SPIRITUALITÄT DER HL. FAUSTINA KOWALSKA
Sie ist ein „Geschenk Gottes an unsere Zeit”, eine Apostelin der Barmherzigkeit
Gottes, eine große Mystikerin, Meisterin des geistlichen Lebens, eine Prophetin, die an die
biblische Wahrheit von der erbarmenden Liebe Gottes zu jedem Menschen erinnert und
dazu aufruft, sie durch das Zeugnis des Lebens, durch Tat, Wort und Gebet zu verkünden.
Das sind die Schlagworte, die im Zusammenhang mit dem Namen der hl. Faustina Kowalska
aus der Kongregation der Muttergottes der Barmherzigkeit am häufigsten genannt werden.
Alles stimmt hier in Gänze.
Mein Thema heute lautet: Das Leben und die Spiritualität der hl. Faustina Kowalska.
Man könnte sagen: Tja nichts Einfacheres als dies – einige Daten, einige Visionen, ein Bild,
eine Seligsprechung, eine Heiligsprechung … und dann wäre schnell Schluss. Über ihr Leben
wurden schon zahlreiche Bücher geschrieben, viele Foto-Bildbände herausgegeben, einige
Kongresse abgehalten uvm. Doch dann kam mir eine Idee: Ein Leben bedeutet nicht nur
chronologische Daten aufzuzählen und Ordnung im eigenen Archiv zu haben. Ein Leben
beinhaltet doch alles, was zwischen der Geburt und dem Tod passiert, was in meinem
Inneren vorkommt, was ich wahrnehme, schön finde oder erleide, was ich liebe und wonach
ich strebe.
Auch wenn es um die Spiritualität der hl. Faustina geht, sollten wir zuerst den Begriff
selbst präzisieren. Dem Wörterbuch zufolge ist Spiritualität das systematische und
bedachtsame Praktizieren eines Lebens, das von Gebet und Frömmigkeit bestimmt ist und
mit den Vorschriften des christlichen Lebens übereinstimmt (G.O´Collins, E.G. Farrugia:
Theologisches Kompaktlexikon, Krakau 1993, S. 64). Einfacher gesagt – die Spiritualität
umfasst alles, was das Praktizieren eines religiösen Lebens ausmacht; alles, was zu der
Wirklichkeit beiträgt, in welcher der Mensch Gott begegnet. Was und wie ist also die
Spiritualität der hl. Faustina? Wie kommt sie zum Ausdruck? Was sind die grundlegenden
Züge ihrer Spiritualität? Hier können folgende Elemente genannt werden: das Erkennen der
Barmherzigkeit Gottes und ihre Betrachtung im Alltag, die Haltung des Vertrauens zu Gott
und der Barmherzigkeit gegenüber den Nächsten, die Liebe zur Kirche, die Sorge um die
Rettung der Seelen, das Leben aus den Sakramenten und die Andacht zur Muttergottes.
In diesem Vortrag werde ich mich nur auf ein Element konzentrieren, denn alles vorzutragen
ist aus zeitlichen Gründen kaum möglich. Am Anfang habe ich gesagt, dass Sr. Faustina oft
bezeichnet wird als Apostelin der Barmherzigkeit Gottes, Sekretärin des Barmherzigen Jesus.
Sie ist in unseren Vorstellungen mit der Barmherzigkeit Gottes eng verbunden. Das ist gut,
denn so ist es auch. Jesus wählte sie zur Sekretärin seiner Barmherzigkeit. Seine
Barmherzigkeit sollte sie verkünden. Ich versuche also „kurz“ und auf eine etwas andere
Weise ihr Leben und ihre Spiritualität darzustellen. Dazu will ich ein Gebet von Sr. Faustina
nutzen. Es war im Jahr 1937. Schwester Faustina schrieb in ihrem Tagebuch ein Gebet auf, in
dem alle Bitten mit den Worten: Hilf mir, o Herr… beginnen (TB 163). Ich bitte Sie im
Folgenden darüber nachzudenken, worum Schwester Faustina eigentlich gebeten hat und
wie das in ihrem Leben zum Ausdruck kam.
Ich möchte mich ganz in Deine Barmherzigkeit umwandeln, um so ein lebendiges Abbild von
Dir zu sein, o Herr, möge diese größte Eigenschaft Gottes, seine unergründliche
Barmherzigkeit, durch mein Herz und meine Seele hindurch zu meinen Nächsten gelangen.
+ Hilf mir, o Herr, dass meine Augen barmherzig schauen, dass ich niemals nach äußerem
Anschein verdächtige und richte, sondern wahrnehme, was schön ist in den Seelen meiner
Nächsten und ihnen zu Hilfe komme.
+ Hilf mir, dass mein Gehör barmherzig wird, damit ich mich den Bedürfnissen meiner
Nächsten zuneige, dass meine Ohren nicht gleichgültig bleiben für Leid und Klage der
Nächsten.
+ Hilf mir, Herr, dass meine Zunge barmherzig wird, dass ich niemals über meine Nächsten
abfällig rede, sondern für jeden ein Wort des Trostes und der Vergebung habe.
+ Hilf mir, Herr, dass meine Hände barmherzig und voll guter Taten sind, damit ich meinem
Nächsten nur Gutes tue und schwierigere, mühevollere Arbeit auf mich nehme.
+ Hilf mir, dass meine Füße barmherzig sind, dass sie meinen Nächsten immer zu Hilfe eilen
und die eigene Mattheit und Ermüdung beherrschen. Meine wahre Rast ist in Dienst am
Nächsten.
+ Hilf mir, Herr, dass mein Herz barmherzig ist, auf dass ich alle Leiden der Nächsten
empfinde, dass ich niemandem mein Herz versage, aufrichtigen Umgang auch mit denen
pflege, von denen ich weiß, dass sie meine Güte missbrauchen werden. Ich selbst werde mich
im barmherzigsten Herzen Jesu verschließen. Über eigene Leiden will ich schweigen. Deine
Barmherzigkeit, o mein Herr, soll in mir ausruhen.
2. Augen
Nicht ohne Grund bittet Sr. Faustina zuerst, dass ihre Augen barmherzig schauen. Augen sind
wie ein Tor des Menschen zur Welt, wie eine Brücke zu anderen Menschen. Sie sind wie ein
Licht, das dazu verhilft, in anderen das zu sehen, was tief in der Seele verborgen ist. Augen
sind es, die die ersten Informationen über den anderen geben oder wahrnehmen. Augen
sind es, die voll Tränen sein können, wenn sie Not oder Schmerz sehen, Augen können
leuchten und strahlen. Und dieselben Augen sind es auch, die manchmal die „unbequeme“
Wirklichkeit nicht sehen wollen.
Nicht verdächtigen
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Dass der Verdacht mit unseren Augen beginnt, ist wohl für alle klar. Unsere Augen
haben die unglaubliche Fähigkeit alles zu sehen aber auch zu reagieren. Ganz schlimm wäre
es, wenn sie nur mit Verdacht reagieren könnten. Der Verdacht tötet das Vertrauen. Er
verursacht, dass wir nicht mehr vernünftig und logisch denken. Der Mensch, dessen Augen
verdächtig schauen, sieht nur das, was er selbst sehen will, und nicht das, was in Wirklichkeit
geschieht. Barmherzige Augen sind solche, die in den Mitmenschen das Schöne und Gute
erkennen können. Sie sehen tiefer als nur das, was nach außen zum Ausdruck kommt. Sie
sehen mehr als nur den Anschein. Johannes Paul II. schrieb in seiner Enzyklika Dives in
Misericordia: Das Erbarmen zeigt sich wahrhaft und eigentlich, wenn es (…) aus allen
Formen des Übels in der Welt und im Menschen das Gute zieht (DiM 6). Eine meiner
Mitschwestern, die seinerzeit in dem Informationsprozess zur Seligsprechung ausgesagt hat –
Sr. Ludwina – erzählte von Sr. Faustina Folgendes: Einmal waren wir aus Walendow nach
Krakau unterwegs und sprachen über etwas vertraulich. Ich wusste nichts von ihren Visionen,
ich hörte ihr aber gerne zu (…), denn sie hatte solchen guten Einfluss auf mich. Nachdem man
mit ihr gesprochen hatte, war das Herz von Mut erfüllt. Sie konnte auch die kleinste Güte
finden und den Menschen ermuntern. Eines von durch unsere Kongregation betreuten
Mädchen – Mädchen, die moralische Hilfe brauchten – erzählte von Sr. Faustina: Sie war ein
Friedensengel, niemals sprach sie abfällig von anderen, sie konnte bei jedem etwas Positives
finden. Eine andere Schwester – Sr. Serafina – bestätigte diese Worte von Sr. Faustina: In
Derdy bei Warschau sollte Sr. Faustina in der Küche arbeiten, sie war dort mit einem
Mädchen, dessen Charakter sehr unangenehm war, mit dem keiner arbeiten wollte. Dieses
Mädchen änderte sich sehr bei Sr. Faustina. So einen guten Einfluss hatte sie auf andere.
Weder Kritik noch Mahnungen oder Anweisungen verändern den Menschen, sondern dass
jemand in uns etwas Gutes, Positives, Schönes erkennen kann. Ein Blick der barmherzigen
Augen verursacht, dass wir genau so sein wollen, wie uns diese guten Augen sehen. Es sind
nicht blinde oder naive Augen. Sie sehen alles, konzentrieren sich aber nicht auf das, was
schwach oder vielleicht böse ist. Die barmherzigen Augen mit einem guten Blick voller
Vertrauen erheben und ändern uns. Ein unbarmherziger, kritischer, urteilender Blick – der
stärkt das Böse in uns.
Nicht richten
Wer verdächtig schaut, wird gleich auch richten und urteilen. Einem Verdacht folgt dann
gleich ein Urteil. Und ein Urteil hat zur Folge: Den Schuldigen soll man bestrafen.
Barmherzige Augen richten nicht nach äußerem Anschein. Barmherzige Augen sehen weiter
als nur nach Anschein. Sie können einen Menschen sehen, wo andere nur ein Problem
sehen. Denn unsere barmherzigen Augen sind eigentlich die Augen unseres Schöpfers, der
durch uns andere Menschen ansieht.
Schönes wahrnehmen
Es geht nicht darum, dass wir das Böse nicht sehen, sondern dass wir vor allem das Gute in
einem Menschen sehen. Sr. Faustina betet, dass sie das, was schön ist, wahrnimmt.
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Manchmal brauchen wir viel Mühe, um in anderen das Schöne zu sehen, was nach äußerem
Anschein hässlich oder ohne Wert ist. Vielleicht geht es auch darum, dass wir uns Mühe
machen sollen, um diese Schönheit, die die Sünde verdeckt hat, zu suchen. Unsere
barmherzigen Augen sollen hinter das Böse oder Hässliche schauen, um das zu sehen, was in
jedem Menschen schön ist – das Abbild Gottes. Was kann uns dabei helfen? Eine einfache
und feste Überzeugung, dass in jedem Menschen etwas Schönes ist. Wenn es uns an dieser
Überzeugung fehlt, dann können nicht nur Fremde sondern auch unsere Nächsten als Feinde
betrachtet werden. Je näher wir Jesus sind, um so mehr können wir andere als schöne
Kinder Gottes sehen.
Zu Hilfe kommen
Sr. Faustina beendet das Gebet um barmherzige Augen mit der Bitte, dass sie allen zu Hilfe
kommen möge. Was haben die Augen mit unserem Handeln gemeinsam? Was hat das Eine
mit dem Anderen zu tun? Vieles! Sollen unsere Augen barmherzig schauen und nur das
Schöne sehen, dann sehen sie auch, was in einer Seele nach Hilfe ruft. Das Entscheidende ist
aber in den Seelen zuerst das Schöne zu sehen. Der Mensch ist dann barmherzig, wenn er
einen anderen akzeptiert, wenn er ihm sagen kann: Du bist gut, in dir gibt es viel Schönes.
Das Schöne in den Seelen zu sehen, ist die erste Tat unserer barmherzigen Augen und der
Beginn der Hilfe, die wir leisten können. Nichts ist so schlimm wie das Gefühl, dass man nicht
geliebt ist, dass man grundlos, nach äußerem Anschein verurteilt wird.
Auf der Welt existieren genau doppelt so viele Augen wie Menschen. Noch immer sind es
aber zu wenige Augen, die barmherzig schauen. Wir sind barmherzig, aber irgendwie nicht
ganz. Barmherzige Augen suchen nach Schönem, und sollen es finden, aber sie wollen auch
dort helfen, wo es noch an dieser Schönheit fehlt. Zuerst sollen wir also lernen, wie man
barmherzig schaut, bevor wir jemandem zu Hilfe kommen. Das Auge gibt dem Körper Licht.
Wenn dein Auge gesund ist, dann wird dein ganzer Körper hell sein. Wenn aber dein Auge
krank ist, dann wird dein ganzer Körper finster sein. Wenn nun das Licht in dir Finsternis ist,
wie groß muss dann die Finsternis sein! (Mt 6, 22-23).
3. Ohren
Phänomen des Hörens
Die Augen sehen die Welt, die Ohren hören sie aber. Man kann viel sehen, aber trotzdem
nichts verstehen. Das Verstehen kommt manchmal durch das Ohr. Die Wahrheit über einen
Menschen können wir manchmal nur an seinen Worten, Seufzern, Freudenrufen oder Klagen
erkennen. Ohren sind es, die uns ermöglichen, die Welt und die anderen zu verstehen.
Augen können wir schließen, um einige Dinge nicht zu sehen, mit den Ohren geht das nicht
so einfach…
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Leiden, das man hört
Jeden Tag hören wir Tausende von Geräuschen, Stimmen, Lauten, Tönen. Sr. Faustina bittet
den Herrn um barmherzige Ohren, damit diese nicht gleichgültig bleiben. Barmherzige Ohren
können das Rufen des Leidens erkennen, das ist kein Problem. Das Problem beginnt aber
wenn sie danach gleichgültig bleiben. Was ist eigentlich Gleichgültigkeit? Warum wehrte sich
Sr. Faustina dagegen? Die Gleichgültigkeit ist eines der wirksamsten Mitteln, um die Liebe zu
töten. Wenn es jemandem gleichgültig ist, wenn einem niemand und nichts wichtig ist, sagt
er dadurch, dass er nicht liebt. Und wenn er nicht liebt, dann lässt er einen anderen im Stich,
hilft ihm nicht und vergisst ihn schnell. Manchmal ist die Gleichgültigkeit schlimmer als die
Feindschaft. Was sagt die Bibel von der Gleichgültigkeit: Ich kenne deine Werke. Du bist
weder kalt noch heiß. Wärest du doch kalt oder heiß! Weil du aber lau bist, weder heiß noch
kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien (Off 3, 15-16). Sie ist schrecklich, weil sie wie
eine Stimme ist, die sagt: Für mich bist du nicht wichtig; du bedeutest mir nicht viel; ob du
lebst oder nicht, interessiert mich nicht; sollte es dich nicht geben, wird das nichts ändern.
Kann man etwas tun, um nicht gleichgültig zu sein? Kann man die Einstellung des
Herzens ändern? Davon hängen doch unsere Entscheidungen und Taten ab. Sr. Faustina
bittet einfach um barmherzige Ohren, dass sie nicht gleichgültig bleiben. Das ist wohl der
erste und der ernste Schritt auf dem Weg zur Liebe. Es gibt auch viele andere Möglichkeiten
– aber z.Z. möge nur diese eine reichen – Jesus um das Entfernen der Gleichgültigkeit aus
unseren Herzen zu bitten.
Schmerzen, die man hören kann
Schwester Faustina notierte in ihr Tagebuch:
[Im März im Jahre 1937 während eines Aufenthaltes im Krankenhaus in Pradnik-
Viertel in Krakau] Der Arzt erlaubte mir nicht, … in die Kapelle zu gehen. Obgleich mein
Verlangen danach sehr stark war, betete ich in meinem Einzelzimmer. Da hörte ich die Klingel
im benachbarten Einzelzimmer. Ich ging hin und leistete dem Schwerkranken einen Dienst.
Als ich in mein Zimmer zurückkehrte, erblickte ich plötzlich Jesus, der zu mir sagte: «Meine
Tochter, du hast Mir mit dieser Dienstleistung eine größere Freude bereitet als mit langem
Beten.» — Ich entgegnete: «Nicht Dir, o mein Jesus, habe ich gedient, sondern diesem
Kranken.» Darauf entgegnete der Herr: «Ja, Meine Tochter, was du deinem Nächsten tust,
tust du Mir.» (TB 1029)
Es war in Wirklichkeit nicht das Klingeln, das Sr. Faustina rief?!… Niemand hätte etwas
bemerkt, wenn sie nicht reagiert hätte. Sie war doch selber krank und lag im Bett. Jeder
hätte ihr geglaubt, auch wenn sie gesagt hätte, sie hätte nichts gehört… Die Empfindlichkeit
eines barmherzigen Menschen geht gegen die egozentrischen und minimalistischen
Strömungen dieser Zeit. Slogans wie: Die Welt ist brutal und du sollst nur auf dich selbst
zählen! Mache es so, wie es Dir passt! Über Leichen zum Sieg! – das sind nicht die guten
Ratschläge eines Freundes. Ein barmherziger Mensch bleibt nicht gleichgültig in einer
solchen Welt. Er lässt sich nicht von der Umgebung dahingehend beeinflussen, die schon
gleichgültig ist. Man muss ihn nicht zweimal bitten oder auch nicht einmal – seine Sinne sind
empfindsam und er hört auch die leiseste Stimme eines Betenden schneller als seine
eigenen Wünsche.
4. Zunge
Die Zunge darf hier nicht fehlen, sie ist nämlich manchmal am wenigsten barmherzig. Mit
einem Wort können wir andere verletzen oder sogar töten. Unsere Worte können wie
Geschosse sein, die wir manchmal oder oft auf andere richten.
Nicht abfällig reden
Sr. Faustina bittet um eine Zunge, die nicht abfällig redet. Abfällig sprechen heißt, so
zu reden, dass jemand seines guten Rufes, Wertes, Herzensfriedens beraubt wird. Manchmal
berauben wir andere, um uns selbst etwas dazuzugeben. Eine barmherzige Zunge wird dem
Nächsten nicht das nehmen, was Seines ist. Auch wenn man etwas Ernstes sagen muss,
werden die Worte dann immer unbarmherzig, wenn sie jemanden um etwas berauben.
Wir sollen nicht abfällig reden sondern trösten. Diese Bitte der Sr. Faustina entsprang
wohl ihrer persönlichen Erfahrung mit Jesus. Seine Worte waren für sie immer voller Trost,
besonders in schwierigen Momenten ihres Lebens. Jesus hat ihre Seele mit seinen Worten
getröstet. Den Trost hat sie auch bei einigen Beichtvätern oder Schwestern gefunden. Die
Zunge kann trösten. Die Frage bleibt nur, wie wir das machen sollen? Mit welchen Worten
können wir einen Menschen trösten, seine Hoffnung und seinen Glauben stärken? Hier
brauchen wir wirklich das Gebet, damit unsere Worte nicht banal sind (Ach, das macht doch
nichts…) illusorisch (Du warst doch immer so gut und was ist jetzt mit Dir passiert…) oder
dumm (Keine Sorge, deinem Nachbarn wurde auch schon mal sein Auto gestohlen). Trösten
heißt helfen – Trauer in Freude zu verwandeln, Licht in der Dunkelheit zu finden… Ganz
anders hören sich die tröstenden Worte an: Du bist nicht allein. Wir brauchen Dich. Alles hat
seinen Sinn. Ich bin bei Dir. Gott kann daraus etwas Gutes herausbekommen.
Vergeben – nicht teilen
Die barmherzige Zunge ist auch eine solche, die Vergebung schenkt.
Hier ein anderes Beispiel aus dem „Tagebuch” der hl. Faustina: Heute besuchte mich
eine gewisse weltliche Person, durch die ich große Unannehmlichkeiten erfuhr, weil sie meine
Güte missbraucht und viele Dinge zusammengelogen hatte. Im ersten Augenblick, als ich sie
sah, erstarrte mir das Blut in den Adern, weil mir alles vor Augen kam, was ich ihretwegen
leiden musste… Mir kam der Gedanke, ihr die Wahrheit sofort und eindeutig zur Kenntnis zu
bringen. Doch augenblicklich hatte ich die Barmherzigkeit Gottes vor Augen und ich
beschloss, mit ihr so zu verfahren, wie Jesus selbst es an meiner Stelle getan hätte. Ich fing
an, mit ihr behutsam zu reden, und als sie mit mir allein zu sprechen wünschte, ließ ich sie
schonend ihren traurigen Seelenzustand klar erkennen. Ich sah ihre tiefe Ergriffenheit,
obwohl sie sie vor mir verbarg… Darauf hörte ich die Worte: «Ich freue mich, dass du wie
meine wahre Tochter gehandelt hast. Sei immer barmherzig, so wie Ich barmherzig bin.
Liebe alle aus Liebe zu Mir, auch die ärgsten Feinde, damit sich in deinem Herzen die ganze
Fülle Meiner Barmherzigkeit widerspiegeln kann.» (TB 1694, 1695)
Die erste, natürliche Reaktion auf eine Person, die uns tief verletzt hat, ist entweder
Rache oder Flucht. Schwester Faustina, für die die Wahrheit wichtig war, wollte dieser
Person gleich das von ihr begangene Böse bewusst machen. Es wäre doch recht, aber…
Weise Menschen sagen, dass man alles sagen kann, wichtig ist aber in welcher Weise es
gesagt wird. Schwester Faustina folgte nicht ihrem ersten Impuls: mir erstarrte das Blut in
den Adern (…) Mir kam der Gedanke, ihr die Wahrheit sofort und eindeutig zur Kenntnis zu
bringen. Hätte sie doch in dieser Weise die Wahrheit gesagt, dann wäre sie sicher abgelehnt
worden. Schwester Faustina, die nach dem Geist der Barmherzigkeit leben wollte, überlegte
noch: Wie hätte Jesus in dieser Situation reagiert? Sicher denken wir jetzt an die Worte Jesu:
Wenn dein Bruder sündigt, dann geh zu ihm und weise ihn unter vier Augen zurecht. (Mt
18,15) Um die wahre Güte des Menschen, um sein ewiges Leben besorgt, würde Jesus die
Wahrheit sagen aber behutsam und unter vier Augen. Wenn eine „schwierige” Wahrheit auf
diese Weise gesagt wird, dann kommt Ergriffenheit, vielleicht tritt auch ein Nachdenken ein.
Wir können auch hoffen, dass sich irgendwann eine Umkehr einstellt.
Hier berühren wir etwas für die Barmherzigkeit Entscheidendes – die Wahrheit.
Barmherzigkeit streichelt nicht, ist nicht nachsichtig mit jemandem, der auf die schiefe Bahn
geraten ist oder direkt in Richtung „Abgrund“ geht. Ein barmherziges Wort ist ein Wort der
Wahrheit, die von der Lüge befreit.
In der Welt von heute sind viele nur scheinbar gute Worte zu hören von denen viele
profitieren können. Schwester Faustina zeigt uns die Haltung eines wahren Jünger Christi.
Hilf mir, Herr, (…) dass ich niemals über meine Nächsten abfällig rede. Wenn ich aber sehe,
dass jemand auf die schiefe Bahn gerät, hilf mir dann, dass ich ihm das einerseits
entschieden sagen kann und er sich andererseits trotzdem angenommen fühlen kann. Hilf
mir, dass ich vergeben kann und nicht nach Rache strebe.
5. Hände
Es gibt weltweit etwa 14 Milliarden Hände. „Etwa“, weil die Zahl der Einwohner der
Welt sich ändert. In der Welt der linken Hände, und befleckten Hände, geballten Hände,
bittet Schwester Faustina um barmherzige Hände: Hilf mir, Herr, dass meine Hände
barmherzig und voll guter Taten sind.
Barmherzige Hände
Schwester Faustina bittet zuerst um barmherzige Hände. Die Unterscheidung
zwischen den Händen, die barmherzig sind und die voll guter Taten sind, ist nicht nur eine
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Frage des Stils, der Art und Weise des Sprechens. Sowohl der Sinn und die Reihenfolge sind
hier wichtig. Bevor die Hände voll guter Taten sind, sollen sie zuerst barmherzig sein. Wenn
die Hände geballt sind, dann kann nicht der kleinste Tropfen Wasser hinein gegossen
werden. Die Hände sollen für andere offen sein, eifrig zu helfen, bereit sein, dies zu tun. Eine
nach der Hilfe oder nach der Versöhnung suchende Hand ist für uns eine Einladung. Wenn
unsere Hände immer offen und hilfsbereit sind, dann kann man sagen – das sind
barmherzige Hände.
Hände voller guten Taten
Aber, Schwester Faustina bittet nicht nur um barmherzige Hände, sondern auch um Hände,
die voller guten Taten sind.
Eine andere Geschichte, erzählt von Sr. Justina: Wir waren zusammen in Wilna, Sr. Faustina
arbeitete im Garten und ich in der Küche im Kloster. Ich war alleine und hatte viel Arbeit. Oft
war es sehr spät und ich war mit der Arbeit nicht fertig. Sr. Faustina half mir immer, obwohl
sie auch sehr erschöpft war und dazu noch krank. Die Nächstenliebe war bei ihr groß und oft
eilte sie, um anderen zu helfen, obwohl sie selber müde und schwach war.
Die barmherzigen Hände sind im Alltag zu prüfen. Barmherzig zu sein – ist ein konkreter
Lebensstil. Es bedeutet nicht ab und zu eine Aktion zu organisieren sondern viel mehr
konsequente tägliche Entscheidungen. Sr. Faustinas Mitschwestern betonten oft in ihren
Erinnerungen: Sie wärmte für mich das Abendessen auf, sie fand immer Zeit, sie half mir
immer… So blieb Sr. Faustina in ihren Erinnerungen. Ist das wirklich möglich, in jeder
Situation so gut zu sein? Auch wenn Sr. Faustina es einmal nicht schaffte, für eine Schwester,
die zu spät nach Hause kam, Abendessen aufzuwärmen, einer anderen zu helfen – und es
konnte doch passieren, sie war doch wie wir alle ein Mensch – blieb den Mitschwestern in
Erinnerung ihre gewöhnliche, tagtägliche Haltung Für-andere-da-zu-sein, ihr großes
Empfinden der Bedürfnisse der anderen und ihr konsequentes Bemühen in jeder Situation
barmherzig zu sein.
Es geht nicht immer darum, unseren Mitmenschen etwas Materielles zu geben.
Vielmehr geht es darum, für andere immer etwas zu haben: Zeit, Geduld, ein gutes Wort, ein
Lächeln oder eine andere Art der guten Tat. Dazu kann uns eine ganz einfache Übung helfen:
Jeden Tag schenke ich mindestens einer Person „etwas Gutes“.
Sr. Faustina bittet nicht nur um Hände, die gute Taten ausüben, sondern um Hände, die voll
guter Taten sind. Voll bedeutet hier nicht, dass es viele von guten Taten sind, sondern viel
mehr, dass es keinen Platz für die bösen Taten mehr gibt.
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Weise Hände
Schwester Faustina betet auch, dass sie ihren Nächsten nur Gutes tun mag. Nun
verstehen wir, warum sie am Anfang um Hände voll guter Taten bat. Wenn sie nur Gutes
hat, wird sie nur Gutes schenken können. Wenn jemand nur Euros in seiner Geldtasche hat,
dann wird er nur Euros geben können. Dieser Teil des Gebetes sagt etwas Wichtiges – es
reicht nicht nur den anderen aus Liebe zu helfen, wir müssen auch weise sein. Ein weiser
Mensch ist nicht derjenige, der viel gibt, sondern derjenige, der seinen Nächsten Gutes tut,
d.h. dass er sich bemüht, dass es dem Nächsten gut geht oder noch besser geht und niemals
schlechter:) Anderen zu helfen ist eine Kunst, ist eine Weisheit, ist eine Fähigkeit, die wir
lebenslang lernen müssen.
Müde Hände
Der letzte Teil des Gebetes um barmherzige Hände ist sehr auffallend. Schwester
Faustina will auf sich die schwierigere und mühevollere Arbeit nehmen. Interessant ist es,
dass sie nicht darum bittet, dass alle so hart arbeiten, wie sie kann. So scheint es doch auf
den ersten Blick gerechter zu sein. Es geht hier aber nicht darum, wer wie viel arbeiten kann,
sondern um eine erstaunliche Offenheit, Bereitschaft einander zu helfen und den anderen
das Leben zu erleichtern. Handeln nicht so die Eltern, die ihre Kinder lieben? Hat auch Gott
nicht in seinem Sohn alle unsere Sünden und Sorgen auf sich genommen und ans Kreuz
geschlagen? Jemand, der das Schwierigere auf sich nehmen will, der liebt sicherlich seine
Nächsten.
6. Füße
Von den Füßen spricht Sr. Faustina auch in ihrem Gebet. Zuerst bittet sie den Herrn: Hilf mir,
o Herr, dass meine Füße barmherzig sind. Zwei Dinge scheinen hier sehr interessant zu sein.
Erstens, dass sich die Bitte auf ihre Füße bezieht, nicht auf die von ihren Mitschwestern oder
Bekannten. Das kann hier ein bisschen merkwürdig klingen, aber… Manchmal versuchen wir
„für andere“ zu beten, dass andere etwas tun, dass andere dorthin gehen, wohin wir nicht
gehen wollen. Andererseits kommt es auch vor, dass wir von anderen erwarten, dass sie uns
zu Hilfe kommen, z.B. dass sie uns besuchen. Für die eigenen Füße zu beten, heißt hier dass
das Umkehren bei mir anfangen soll. Zweitens geht es darum, dass jeder Teil meines Körpers
barmherzig sein soll. Zuvor hat Sr. Faustina gebetet, dass ihre Hände barmherzig sind, jetzt
bittet sie, dass ihre Füße barmherzig sind.
Sr. Faustina erklärt sofort, was es bedeutet barmherzige Füße zu haben. Barmherzige Füße
sind immer in Eile. Die Menschen sind heutzutage sehr beschäftigt. Sr. Faustina versteht es
gut und verlangt nicht, dass die Menschen jetzt mit allem aufhören sollen. Viele neigen
heute zu Eile. Die wichtigste Frage bleibt aber: Wohin eilen wir? Der barmherzige Mensch
eilt zu Hilfe, dort wo er nötig ist. Die barmherzigen Füße haben diejenigen, die eilen, um den
Nächsten zu helfen.
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Das ist nicht alles. Es sind viele Füße, die dorthin eilen, wo die Menschen in Not sind. Füße
von Journalisten eilen, um zu beschreiben, was geschehen ist; Füße von Neugierigen eilen,
um darüber zu plaudern, was passiert ist. Füße von Geiern eilen, um die Schwäche oder das
Unglück der anderen auszunutzen. Die barmherzigen Füße laufen, nur um zu helfen.
Im Jahre 1936 schrieb Sr. Faustina: Heute (…) fühlte ich mich elender als sonst. So
begab ich mich gleich nach der Andacht zur Ruhe. Als ich aber den Schlafraum betrat,
erkannte ich innerlich, dass ich in die Zelle der Schwester N. gehen sollte, weil sie Hilfe
benötigte. Ich ging sofort in die Zelle und Schwester N. sagte zu mir: «O wie gut, dass Gott Sie
hierher geführt hat.» Sie sprach mit einer so leisen Stimme, dass ich sie kaum hören konnte.
Sie sagte: «Schwester, bitte, bringen Sie mir etwas Tee mit Zitrone, denn ich bin so durstig
und kann mich nicht rühren, weil ich sehr leide.» Sie litt tatsächlich sehr und hatte hohes
Fieber. Ich erwies ihr diesen Dienst und sie stillte ihren Durst. Als ich in meine Zelle kam,
erfüllte meine Seele eine starke Liebe zu Gott und ich erkannte, wie sehr man auf innere
Eingebungen achten und sie treu erfüllen sollte. Die Treue zu einer Gnade zieht andere nach
sich (TB 756).
Gott hat Sie hierher geführt – sagte die Kranke zu Sr. Faustina. ER kam also mit ihr. In
Gegenwart von Sr. Faustina erfuhr die kranke Schwester die Gegenwart Gottes. Sr. Faustina
begegnete in ihren Mitmenschen Gott und auch den Mitmenschen konnte Gott in Sr.
Faustina begegnen. Das ist die Gegenseitigkeit, gegenseitiges Beschenken. Das ist auch
etwas Charakteristisches für die Barmherzigkeit – wenn ich etwas gebe, bin ich zugleich
beschenkt. Fehlt diese Gegenseitigkeit, dann sind unsere Handlungen keine echten Akte des
Erbarmens – schrieb der sel. Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Dives in misericordia
(14). Das Gute, das wir für andere tun, lässt uns auch hier auf Erden den Himmel spüren. (…)
Meine Seele erfüllte eine starke Liebe zu Gott (TB 756) schrieb Sr. Faustina. Und das war ihre
Rast – ihre wahre Rast, die sie im Dienst am Nächsten fand.
In der heutigen Welt, in der sich viele nur um sich selber sorgen, stellt Sr. Faustina in
die Mitte Gott, dem sie täglich begegnet, sehr konkret in jedem Menschen, dem sie dienen
will wie Jesus, der nicht gekommen ist, um sich bedienen zu lassen (Mt 20,28).
Die heilige Faustina macht uns noch darauf aufmerksam, dass unsere Füße immer
barmherzig eilen sollen. Mit diesem Wort beginnt sie die weitere Erklärung, worauf die
Barmherzigkeit der Füße beruht. Wenn der Mensch nicht immer in die richtige Richtung
geht, dann entfernt er sich von seinem Ziel. Dann verliert er die Zeit und seine Kräfte. Denn
später wird er den Weg nachholen müssen, den er falsch gegangen ist. Und wenn er sich
nicht beeilt, riskiert er zu spät zu kommen. Die barmherzigen Füße eilen immer zu Hilfe, so
dass es nicht zu spät wird. Ein polnischer Dichter hat einmal geschrieben: Eilen wir die
Menschen zu lieben, sie gehen so schnell weg…
Es ist nicht verwunderlich, dass Schwester Faustina nach diesen Worten auch gleich
von der Ermüdung spricht. Die Eile bringt Ermüdung und das ist ganz klar. Ein Gegenmittel
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dazu ist – wie Sr. Faustina im Gebet schreibt – das Beherrschen der Mattheit und
Ermüdung. Wenn Sr. Faustina davon spricht, dann können wir annehmen, dass sie davon
überzeugt ist, dass diese beiden Schwierigkeiten zu überwinden sind. Wir sollen über sie
herrschen nicht sie über uns. Wenn jemand nicht genug schläft, wie kann er dann nicht
müde sein? Wenn jemand nicht betet, wie kann er nicht erschöpft sein? Die Erholung,
Exerzitien, das Gebet, der Urlaub, der Schlaf – das alles ist nicht ein Zeichen des Faulenzens,
sondern ein Zeichen einer unbedingten Voraussetzung, um immer zu Hilfe eilen zu können.
Sr. Faustina erklärt auch zum Schluss, was die wahre Rast ist: Meine wahre Rast ist im
Dienst am Nächsten. Faustina muss nicht über Schlafen schreiben, oder Urlaub, das ist klar,
und wir wissen es genau, wie man die freie Zeit gestalten soll. Faustina zeigt etwas, das oft
übersehen wird. Sie zeigt nämlich, dass man sich im Dienst am Nächsten auch erholen kann.
7. Herz
Wir haben schon um barmherzige Augen, Ohren, Zungen, Hände und Füße gebetet. Die
letzte Bitte der hl. Sr. Faustina betrifft das Herz. Hilf mir, o Herr, dass mein Herz barmherzig
wird… Diese Bitte ist von besonderer Wichtigkeit, denn von dem Herzen hängt es doch ab,
was in einem Menschen barmherzig sein wird. Das Herz fühlt, entscheidet, und leitet alle
menschlichen Glieder: Hände, Füße, Augen, Ohren und Zunge. Daher kann man sagen: wie
das Herz, so auch die gesamte Person.
Was fühlst du?
Schwester Faustina bittet um ein barmherziges Herz, das heißt um ein solches Herz, das alle
Leiden der Nächsten empfinden möge. Jeder Mensch empfindet etwas – mehr oder weniger
intensiv. Je mehr ein Mensch durch die Sünde zerstört ist, desto mehr empfindet er sich
selbst, und nicht andere. Wer beginnt, die anderen zu empfinden, geht über sich selbst
hinaus, über seinen Egoismus hinaus und beginnt die anderen zu lieben. Wenn ein Herz alle
Leiden der Nächsten empfindet, heißt das, dass es gesund ist. Und wie wichtig es ist, dass
unser Herz gesund ist, wissen besonders diejenigen gut, die damit Probleme haben…
Wem sagst du NEIN?
Schwester Samuela erzählte Folgendes: Einmal kam eine Schwester von der Stadt zurück in
schmutzigen Gummistiefeln und war mit Sr. Faustina zerstritten. Sr. Faustina nahm die
Gummistiefel und reinigte sie. Meine Frage: Warum sie das mache, beantwortete sie: „Aus
Liebe zu Jesus.”
Selbst die besten Rechner können nicht zählen, wie viele Male wir in unserem Leben
jemandem etwas verweigert haben. Es ist eine Kunst, nicht nur JA sagen zu können, sondern
auch zu lernen, NEIN zu sagen, zuerst zur Sünde, dann auch zu Dingen und zu Menschen. Oft
haben wir nein gesagt, oft verweigern wir Zeit, Geld, Hilfe, weil wir nicht überall und nicht
für alle da sein können. Eine große Kunst ist es niemals das Herz zu verweigern. Man kann
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nicht jedem Geld oder Zeit schenken, dies kann aber nicht ohne Herz abgelehnt
werden! Barmherziges Herz haben – bedeutet – unser Herz zu verschenken. Und wenn wir
unser Herz schenken, verlieren wir es sicherlich nicht.
Warum verweigern wir vieles?
Oft haben wir Angst unsere Herzen zu schenken, weil wir nicht betrogen oder verletzt
werden wollen. Deshalb, um dies zu vermeiden, sind wir nur für diejenigen da, die wir gut
kennen, bei denen wir ganz sicher sind. Schwester Faustina kennt gut die Mechanismen des
menschlichen Herzens und verspricht auch die unangenehmen Menschen nicht zu
vermeiden. Sie geht noch weiter. Sie sagt nicht: Ich will den Menschen helfen, die meine Güte
missbrauchen werden. Sie sagt aber: ich werde aufrichtigen Umgang mit ihnen pflegen. Den
Umgang zu pflegen ist viel mehr als nur helfen. Es heißt Zusammensein, zusammen Zeit
verbringen, Beziehungen aufbauen. Und hier zeigt sich wohl das Genie von Sr. Faustina. Nur
jemand, der wirklich liebt, wird mit anderen Zeit verbringen wollen, abgesehen davon, was
ihn das kosten wird. Wer wirklich liebt, wird mit anderen zusammenbleiben wollen.
Es ist fast unmöglich diejenigen zu lieben, die uns verletzt haben. Vielleicht deshalb
schreibt Schwester Faustina gleich, dass sie sich im barmherzigsten Herzen Jesu verschließen
wird. Damit ein Mensch sich für andere öffnen kann, muss er sich zuerst im Herzen Jesu
verschließen. Nur eine tiefe Beziehung zu Gott kann uns Kraft geben, mit den Menschen
umzugehen, die wir für unangenehm halten. Sehr viel kann man für diejenigen tun, die man
mag. Hier braucht man weder Gnade noch Glauben. Um aber für einen ungeliebten oder
bösen Menschen etwas Gutes zu tun, braucht man Gottes Hilfe. Manchmal erwarten wir von
anderen Menschen eine barmherzige Haltung – wir fühlen uns enttäuscht, dass es so wenige
barmherzige Menschen gibt. Statt nur von anderen etwas zu erwarten oder sich über andere
zu beschweren, sollten wir ihnen helfen Gott näher zu sein, Ihn durch uns zu erfahren.
Zum Schluss stellt Schwester Faustina fest, dass sie über eigene Leiden schweigen
wird. Es ist auch natürlich, dass ein Mensch, der verletzt wurde sich automatisch
beschwert. Ein barmherziges Herz überschreitet diese Natürlichkeit, schafft eine andere
Regel: kein Beschweren. Warum soll ich schweigen? Könnte Sr. Faustina nicht allen sagen,
was weh tut oder zu den Oberinnen gehen und verlangen, dass sie das Problem (auf
menschliche Weise) lösen sollten? Das Schweigen bedeutet nicht, dem Bösen zuzustimmen.
Im Gegenteil: das Schweigen kann das Böse in mir auslöschen. Es geht nicht darum, vor
einem Problem ins Schweigen zu fliehen sondern vor dem Wunsch einer Rache oder vor dem
Verlangen alles nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Trotz des allgemeinen
Geschwätzes, gibt es viele Dinge, die wir doch mit Stillschweigen „behandeln“ können. Über
eigene Leiden schweigen können, heißt wie Jesus am Kreuz zu sterben
So war die Spiritualität der hl. Schwester Faustina, die ihr Leben so sehr beeinflusst hat. So
waren die Fakten, die ihr Leben gefüllt haben.
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Möge die Barmherzigkeit Gottes in unseren Händen und Füßen, Augen und Ohren und vor
allem in unseren Herzen ausruhen und sich in uns wie „zu Hause“ fühlen.
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Jetzt kann ich noch einige historische Daten und Informationen hinzufügen. Denn die oben
aufgeführten Ereignisse haben doch einen Rahmen, in dem sich alles abgespielt hat.
Sie wurde am 25. August 1905 in dem kleinen Dorf Głogowiec geboren. Bei der heiligen
Taufe erhielt sie den Namen Helena. Die Schule besuchte sie nur knappe drei Jahre und als
junges Mädchen verließ sie ihr Elternhaus, um im Dienste bei wohlhabenden Familien für
ihren eigenen Unterhalt zu sorgen und um ihren Eltern zu helfen.
Am 1. August 1925 trat sie in die Kongregation der Schwestern der Muttergottes der
Barmherzigkeit in Warschau in der Żytnia-Straße ein.
Im Kloster verbrachte sie als Schwester Maria Faustina dreizehn Jahre, in denen sie
als Köchin, Gärtnerin und Pförtnerin in vielen Häusern der Kongregation tätig war, am
längsten in Krakau, Warschau, Płock und Vilnius.
Sie litt unter Lungen- und Darmtuberkulose, deshalb verbrachte sie länger als 8
Monate im Krankenhaus in Krakau-Prądnik. Größere Leiden, als die die Tuberkulose
verursachte, litt sie als freiwilliges Opfer für die Sünder.
Die fundamentale Aufgabe der Schwester Faustina bestand nämlich darin, der Kirche
und der Welt die Botschaft der Barmherzigkeit zu übermitteln, die an die biblische Wahrheit
von der erbarmenden Liebe Gottes zu jedem Menschen erinnert und dazu aufruft, Ihm das
eigene Leben anzuvertrauen und tätige Nächstenliebe zu üben. Jesus zeigte ihr nicht nur die
Tiefe Seiner Barmherzigkeit, sondern übermittelte ihr auch neue Kultformen: das Bild mit
der Unterschrift Jesus, ich vertraue auf Dich, das Fest der Barmherzigkeit, den Rosenkranz
zur Barmherzigkeit Gottes und das Gebet im Augenblick Seines Sterbens am Kreuz, die sog.
Stunde der Barmherzigkeit.
Schwester Faustina starb im Kloster in Krakau-Łagiewniki am 5. Oktober 1938 im
Alter von nur 33 Jahren. Die aus der mystischen Erfahrung und dem Charisma der Schwester
Faustina entstandene Apostolische Bewegung der Barmherzigkeit Gottes führt ihre Sendung
weiter und bringt der Welt die Botschaft der Barmherzigkeit. Am 18. April 1993 wurde sie
auf dem Petersplatz in Rom von Papst Johannes Paul II. selig- und am 30. April 2000
heiliggesprochen. Ihre Reliquien ruhen im Heiligtum der Barmherzigkeit Gottes in KrakauŁagiewniki.